Die Bauten der Verseidag in Krefeld von Mies van der Rohe
Die Bauten der Verseidag in Krefeld
Nach der Stilllegung der Seidenfabrik im Jahr 2009 begann die sukzessive Umnutzung und Restaurierung des Industriedenkmals. Seit 2011 wird dieser Prozess von einer Gruppe von Studierenden und Dozenten der RWTH Aachen, der TH Köln und der THM Gießen unter Leitung von Prof. Dr. Daniel Lohmann und Prof. Norbert Hanenberg wissenschaftlich begleitet. Aus Sichtweise der architektonisch-konstruktiven Betrachtung und mit den Methoden der historischen Bauforschung wird am Objekt geforscht, um den historisch gewachsenen Zustand der Anlage mit all seinen Zeitschichten zu dokumentieren, und offene Fragen zur baulichen Entwicklung und Urheberschaft beantworten zu können. Durch den langsamen Prozess der Umnutzung und Vermietung kann eine ausführliche Betrachtung der baulichen Originalsubstanz durchgeführt und so in den letzten Jahren detailliert vermessen, gezeichnet und fotografisch dokumentiert werden. Gemeinsam mit den Studierenden wurden mit diesen Methoden auch diejenigen Spuren gelesen, die sich nur am Bauwerk zeigen, und die die Auswertung der zeichnerischen und schriftlichen Quellen um ein wesentliches ergänzt.
Die Sicht- und Arbeitsweise des Ateliers Mies van der Rohe an diesen Bauten wird durch die erhaltenen Planunterlagen im New Yorker Museum of Modern Art verdeutlicht. Daneben konnte mit der Auswertung des umfangreichen Nachlasses der firmeneigenen Planungsabteilung der Verseidag begonnen werden. Dieser Nachlass stellt nun eine besondere Quelle der Forschung dar, da durch die gemeinsame Betrachtung der beiden Bestände die dialogische Zusammenarbeit des Büros Mies mit der lokalen Bauabteilung nachvollzogen werden kann. Darüber hinaus können erstmalig auch diejenigen Bauten auf dem Gelände der Verseidag detailliert erforscht werden, die nicht unmittelbar vom Atelier Mies bearbeitet wurden, sich in ihrer architektonischen Formensprache aber ganz eindeutig der Miesschen Gestaltungs-Rezeption der Industriebauten in Krefeld bedienen.
Bauten der Verseidag, Foto ca. 1936 Stadtarchiv Krefeld
Ausstellungen
Projekt in Bearbeitung: Bauhaus 2019, Grenzwertig; Projekt Mies im Westen in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Daniel Lohmann (TH Köln) und dem MAI (Museum für Architektur und Industriekultur) in NRW. Ausstellung in Aachen, Essen und Krefeld Herbst 2019. Forschung und wissenschaftliches Arbeiten eingebettet in die Lehrveranstaltungen.
Exhibition: MIES & the inheritance of modernism im Schunck* in Heerlen, Holland - Ausstellungsbeitrag 2016 zum Stand des Forschungsprojektes Mies van der Rohe und die Bauten der Verseidag. Kuratorische und wissenschaftliche Begleitung der Projekte Lake Shore Drive Appartments, Crown Hall und Memorial Carr Chapel auf dem IIT in Chicago. Hanenberg, Norbert und Lohmann, Daniel.
Exhibition: Mies van der Rohe Award 2015 - Preis der Europäischen Union für Zeitgenössische Architektur. Ausstellungsbeitrag 2017: Die Bauten der Verseidag in Krefeld. Hanenberg, Norbert und Lohmann, Daniel.
Publikationen
Hanenberg, Norbert und Lohmann, Daniel: Kraftstation für die Verseidag Krefeld. Ein vergessener Bau Mies van der Rohes? In: INSITU - Zeitschrift für Architekturgeschichte, Heft 1, Worms 2021
Hanenberg, Norbert und Lohmann, Daniel: Die Bauten der Verseidag von Mies van der Rohe. In: DIE WEISSE REIHE Band 4, Geymüller Verlag, Aachen (in Bearbeitung) voraussichtlich 2018
Hanenberg, Norbert und Lohmann, Daniel: Die Adresse der Verseidag - Das Pförtnerhaus von Erich Holthoff. In: DETAIL - Transformation - Interface im Mies van der Rohe Buisiness Park, München 2017, S. 4-9.
Hanenberg, Norbert und Lohmann, Daniel: „Mies van der Rohes Verseidag - Neue Erkenntnisse zu Baugeschichte und Erhalt“ in Industriekultur. In: Krefeld und der Niederrhein“, Essen 2017, S.166-176.
Hanenberg, Norbert und Lohmann, Daniel: The Verseidag in Krefeld Silk Factory - Architectural History and Restoration of a much-neglected Mies van der Rohe Project. In: Docomomo (documentation and conservation modern movement) Journal 56, „The Heritage of Mies“, Lisboa 2017/1, S. 16-25.
Hanenberg, Norbert und Lohmann, Daniel: Master Plans and Deviations, Mies van der Rohe`s involvement in urban development at Verseidag Krefeld and IIT Chicago. In: Docomomo Journal 56, „The Heritage of Mies“, Lisboa 2017/1, S. 26-33.
Hanenberg, Norbert; Lohmann, Daniel und Raabe, Christian: The Heritage of Mies - Introduction.
In: Docomomo Journal 56, „The Heritage of Mies“, Lisboa 2017/1, S. 26-33.
Vorträge
28.09.2017 Interface Krefeld Vortrag und Führung: Mies van der Rohe und die Bauten der Verseidag als Bausatz - Das Pförtnerhaus von Erich Holthoff.
28. und 29.01.2017 Vortrag und Führung: Mies van der Rohes und die Bauten der Verseidag in Krefeld. In: MEHR MIES. 14. Krefelder Architekturtage, Moderne Zeiten - Mies und der Fabrikbau. Museen Haus Esters und Haus Lange.
17.11.2016 Interface Krefeld Vortrag und Führung: Mies van der Rohes und die Bauten der Verseidag im Bezug zum IIT-Masterplan in Chicago.
8.09.2016 Interface Krefeld: Vortrag zum Stand der Forschung Mies van der Rohe und die Bauten der Verseidag in Krefeld.
07/08.04.2016 „Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Verseidag-Bauten und Probleme ihrer Erhaltung“ auf der Tagung „Industriekultur“, Krefeld.
11.11.2016 „Ludwig Mies van der Rohes Fabrikbauten für die Verseidag Krefeld - Neue Erkenntnisse aus der Bauforschung und Denkmalpfege“ in der Veranstaltung 5 vor 12 - Die RWTH Wissenschaftsnacht, Aachen.
22.05.2016 „Die Verseidag in Krefeld“ an der RWTH Aachen in Zusammenarbeit mit dem Schunck*, Vortrag zur Ausstellung „MIES & the inheritance of modernism“, Aachen.
13.11.2015 „Verborgen hinter seidenem Schleier - Ludwig Mies van der Rohes Fabrikbauten für die Vereinigte Seidenwebereien AG in Krefeld“ in der Veranstaltung 5 vor 12 - Die RWTH Wissenschaftsnacht, Aachen.
11.12.2015 „Case Study Verseidag Krefeld“ zur Veranstaltung „Mies Day“ im Schunck*, Heerlen in Holland.
01.07.2014 Werkvortrag mit Workshop in der Reihe „Gasthaus“ an der RWTH Aachen, Aachen
18.02.2011 „mies unbuilt - die Baukunst Mies van der Rohes als Strukturbegriff“ an den „Mehr Mies - Krefelder Architekturtage“, Museum Haus Esters und Haus Lange, Krefeld.
2005 Vortrag und Ausstellung an der TU Kaiserslautern, Konzeption und Konstruktion ungebauter Projekte Mies van der Rohes Teil 2.
2004 Vortrag und Ausstellung an der RWTH Aachen, Konzeption und Konstruktion ungebauter Projekte Mies van der Rohes Teil 1.
Die Häuser Esters und Lange in Krefeld von Mies van der Rohe
Ludwig Mies van der Rohe
Das Verhältnis von Wohnen und Technik
THM Gießen, Fachbereich Bauwesen I Architektur
Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren
Prof. Dipl.-Ing. Architekt BDA Norbert Hanenberg
TH Köln, Fakultät für Architektur
Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege
Prof. Dr.-Ing. Daniel Lohmann
mit Studierenden der Architektur der beiden Fakultäten
Hanna Bonekämper, Ronja Dammer, Jan Granzow, Janina Hofius, Anna
Katharina Hofmann, Rebecca Hummelsiep, Magdalena Kilp, Leonie Melz,
Aylin Özdemir, Lukas Rau, Yvonne Rosen, Martyna Sledz, Daria Magdalena
Sowa, Laura Marie Finger, Rebecca Lara Storck, Fabian Thäter, Lukas Stiel
Kommentierte Materialsammlung
Die hier präsentierte 'kommentierte Materialsammlung' konnte nur realisiert werden, nachdem sich Studierende der Architektur der TH Köln und der TH Mittelhessen (Gießen) über einen langen Zeitraum mit der Person und dem Werk Ludwig Mies van der Rohes in Nordrhein-Westfalen auseinandergesetzt haben. Ihre Betrachtung und Analyse unterschiedlicher Projekte und Bauten des Architekten in Krefeld bilden die Grundage für die Präsentation in diesen beiden Räumen. Im Rahmen der Lehrveranstaltungen der TH Köln und der TH Mittelhessen haben die Studierenden zusammen mit den Lehrenden über mehrere Semester einerseits alle zugänglichen Materialien vertieft studiert, und andererseits direkte Bauforschung an den jeweiligen Objekten - den Häusern selbst - vorgenommen. Diese intensive Recherche bezog sich auf den aktuellen Stand der Forschung, umfasste Literatur- und Archivarbeit zu architektonischen Planvorlagen und entwurfsbegleitender Korrespondenz. Besonders die Arbeit an den Häusern Esters und Lange selbst war fruchtbare Grundlage für unmittelbare Vertiefung und Wissensgewinn. In vielen Veranstaltungen vor Ort stand neben den strukturellen und statischen Betrachtungen der Häuser insbesondere die Materialität in ihrer Originalsubstanz im Fokus. Es galt, die Reichhaltigkeit der Spuren aus der beinahe neunzigjährigen Lebensphase der Gebäude als Wohnhäuser, Museen, Sanierungsfällen und restaurierten Denkmalen zu lesen. In diesen Betrachtungen werden Aufwand und Sorgfalt deutlich, mit der alle Elemente der Häuser geplant wurden, und die die Grundlage einer langfristigen Qualitätsbeschreibung sind.
Die Konstruktion als Technik
Umzeichnungen von historischen Konstruktionsdetails, die vom Ingenieurbüro für Hochbau Ernst Walther in Berlin Moabit in Abstimmung mit dem Atelier Mies van der Rohe erstellt wurden. Zeichnungen: TH Mittelhessen, auf der Grundlage von historischen Planunterlagen
Die Formen- und Materialsprache der beiden Häuser ist nur auf den ersten Blick einer tradierten Idee von klarer und folgerichtiger Bauweise verpflichtet. Schon bei näherer Betrachtung fällt die Unmöglichkeit der großdimensionierten Öffnungen im Mauerwerksbau für Fensterbänder und Einzelfenster ins Auge. Der enorme Einsatz von Stahlbauteilen im Bereich der Fenster und insbesondere in den Decken und Böden aller Geschosse dient eher der hierfür notwendigen statischen Struktur der Häuser, als einer Entwurfsidee, die die Bedingungen von Lasten und Tragen als wichtige Entwurfsparameter berücksichtigt. Ohne diesen statischen Aufwand wären die grossen Wohnhallen in ihrer offenen und weiten Struktur mit den darüberliegenden kleinteiligen und lastenden Zimmer- und Flurbereichen nicht denkbar. Die Fensterbänder auf den Straßenseiten waren ohne Stahlstützen hinter den Fensterteilungen nicht ausführbar, und die grossen Einzelfenster auf der Gartenseite in dieser Dimension gleichermaßen ohne versteckten Stahl nicht möglich. Das zweischalige Mauerwerk bündelt alle vertikalen Lasten und leitet sie in die Fundamente. Es besteht aus rötlichem Bockhorner Stein im Blockverband. Dieser Mauerwerksverband ist jedoch nur einen halben Stein stark, und nur in technischer Regelmässigkeit mit dem inneren, tragenden Mauerwerk verbunden. Die Außenseite entspricht also eher einer oberflächlich vorgeblendeten Haut als schwerem Mauerwerk. "Das Eigengewicht ist sehr hoch ausgefallen. Das liegt in der Hauptsache an den reichlich verwendeten Peiner-Trägern und Euren dämlichen Belastungsannahmen." So schreibt das Berliner Ingenieurbüro für Hochbau Ernst Walther Senior, das für die statischen Berechnungen bei den beiden Häusern zuständig war, in einem Brief vom 1. Oktober 1928 an das Atelier von Mies van der Rohe. Hiermit war nicht nur der statische Aufwand für eine freie Entwurfs- und Grundrissgestaltung gemeint. Auch war die Möglichkeit vorgesehen, sowohl bei Haus Esters als auch bei Haus Lange später ein weiteres Geschoss aufzusetzen. So ist beispielsweise in den statischen Plänen des Ingenieurbüros Walther zum Projekt Lange im oberen Bereich der Dachplanung vermerkt: "Diese Erhöhung umschließt die Stoßlaschen für die spätere Aufstockung. Diese Laschen sind schon jetzt anzubringen, damit nicht später zum Aufbringen der oberen Stützen das Dach bis zum Punkte "12" aufgebrochen zu werden braucht." Die beiden hier dargestellten und übertragenen Pläne des Ingenieurbüros Ernst Walter zeigen die statischen Berechnungen und Darstellungen der tragenden Elemente in Wänden und Decken für genau die Räume, in denen sich diese Ausstellung befindet, sowie das daneben liegende Treppenhaus. Zur Verdeutlichung der Stahlbauteile sind diese in den Grundrissen, Schnitten und Ansichten in Rot dargestellt. Die beiden Modelle von Kent Kleinman und Leslie Van Duzer stellen die in den Decken eingebauten Stahlträger als abstrakte Hängekonstruktion dar.
Das Werk des Architekten Eduard Pfeiffer
Eduard Pfeiffer und Emil Lettré
Eduard Pfeiffer als Architekt der „Zwischenwelten“, ein Schaffender zwischen Tradition und Moderne, zwischen Kunsthandwerk und Technik. In überragender Weise stehen neben seinen Architekturen auch die Innenwelten und Raumarchitekturen, die er in den zwanzig Jahren seines Schaffens entwickelt und umgesetzt hat: die Gestaltung von Struktur und Ordnung in Material und Technik.
" Der einzigartige Laden" von Emil Lettré, Unter den Linden 71.
Eduard Pfeiffer, 1928. Nachlass der Familie Lettré.
Der Architekt Eduard Pfeiffer, seit 1918 Professor für Innenarchitektur und Raumkunst an der Staatsschule für angewandte Kunst in München, ist als Architekt und Innenraumgestalter ein Mittler zwischen den Stilwelten der 1910er und insbesondere der 1920er Jahre, allem Modischen distanziert, allem Modernen offen gegenüberstehend. Seine Arbeiten sind weit verteilt, seine wesentlichen Lebenswelten liegen in Berlin und München. Sein Werk kommt aus dem erst Gelerntem, dem Traditionellen und wächst sich in seinem letzten zu frühen Lebensjahrzehnt hin zu einer Baukunst, die aus seinem unermesslichen Reichtum die einfache Form sucht, mit dekorativen Einfällen, die der gestalterischen Armut der zeitgenössischen Moderne eine reichere zur Seite stellt. Hier sind neben den Häusern am Bodensee von 1922/23 und den Ausstellungsräumen bei der Münchner Gewerbeschau von 1922 insbesondere die beiden mit Emil Lettré entwickelten Bauten in Berlin zu nennen. Das private Wohnhaus von 1922 in Berlin-Westend als einen der interessantesten Beiträge Berliner Architektur der Moderne und der einzigartige „Laden“ von Emil Lettré unter den Linden von 1928, der in seiner Zeit Treffpunkt von Rilke bis Hauptmann, von Pamela Wedekind bis Erika Mann ist.
In diesem Feld der „Zwischenzeit“ untersucht dieses Forschungsprojekt seit 2001 das Werk Eduard Pfeiffers, seine Ausgangspunkte und die entwickelten Bedingungen seiner mannigfaltigen Arbeiten.
Ausstellung
Orangerie - Ausgewählte Projekte, Auktionshaus Grisebach, Berlin 2017
Publikationen
Hanenberg, Norbert: Die goldenen Zwanziger von ihrer kultiviertesten Seite. Die Möbelschöpfungen von Lettrés bestem Freund, Eduard Pfeiffer“. In: Orangerie - Ausstellungstextbeitrag, Berlin 2017
Hanenberg, Norbert: Der Architekt Eduard Pfeiffer. Geymüller Verlag, Aachen (in Bearbeitung)
Das Werk des Architekten John Archibald Campbell
John Archibald Campbell und Thomas Mann - Berührungspunkte (Auszug)
Das Englische in München
„Es ist gewiss kein geringes Verdienst des Hauses Pössenbacher, den stilmachenden Künstler herbeigerufen zu haben: John Campbell. In Gemeinschaft mit seinem Münchner Auftraggeber, Heinrich Pössenbacher, erfindet er ein Neu-Rokoko, indem München sich noch einmal vorkriegsmäßig wohl gefühlt hat, stark durchsetzt mit chinesischen, japanischen, indischen Motiven.“ (1) Hier zog noch einmal in einer letzten Phase das Englische in die Gestaltungswelt Münchens ein, beginnend in der Dekoration und Möbelkunst, sich aber zunehmend hinwendend und ergänzend zur Typologie des Landhauses samt seinen gärtnerischen Bedürfnissen und Anforderungen. Heinrich Pössenbacher, der 1901 in das Unternehmen seines Vaters Anton Pössenbacher eintrat, „das Unternehmen nannte sich nun [ab 1902] Pössenbacher Werkstätten. Mit dem neuen Namen reagierte man zweifelslos auf die 1897 erfolgte Gründung der „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk“ durch Richard Riemerschmid, Hermann Obrist, Bernhard Pankok und andere Münchner Künstler, [...].“ (2), lud John Campbell, den er in London kennengelernt hatte, 1901 nach München ein. Die Stadt wurde und war auch später für ihn immer ein Ort der Heimat, der Freundschaft, ein Ort der Rückkehr, neben der anderen, härteren und kühleren Arbeits- und Lebenswelt Berlin: „Ich kam nach einigen Jahren wieder nach München [1910] - immer wieder muss man kommen - [...]“ (3)
Arosa - Schweiz
John Archibald Campbell (1878-1947) war ein englischer Architekt, der mit einigen Unterbrechungen von 1901 bis Ende 1931 den größten Teil seines privaten und architektonischen Lebens in Deutschland verbrachte; München und Berlin waren dabei die Orte beeindruckender Architekturen und schicksalhafter Lebenseingriffe aufgrund der ausgeprägten und wechselnden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Deutschland des ersten Drittels des zwanzigsten Jahrhunderts.
Seine Liebe zu diesem Land und seinen Menschen war trotz der dramatischen Einbrüche in seinen hiesigen Lebensweg - zwangsweiser Rücktritt von seiner erst 1914 erworbenen Professur an der Kunstgewerbeschule in München und seine von 1914-1918 kriegsbedingte Inhaftierung in Berlin als britischer Staatsbürger - groß und emotional tief begründet und trug sich intensiv durch viele Freundschaften bis in seine letzten Lebensjahre.
Als Architekt, Erzähler und Vermittler englischer Architektur gelang ihm dabei großes und für eine exquisite Gruppe von Schaffenden und Kreativen (Eduard Pfeiffer, Emil Lettré, Karl Johann Mossner, Paul Huldschinsky und weitere) war er eine inspirierende Quelle zur „Entwicklung moderner Architektur [und Gestaltung] auf den Grundlagen traditioneller Werte“ (4), die sich ganz bewusst dem Gestalten aus dem Handwerk verpflichtet fühlte.
Eines seiner letzten Projekte auf dem europäischen Kontinent führte ihn nach Arosa, einem Schweitzer Kurort in Graubünden, der nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Entstehung des Romans der Zauberberg von Thomas Mann eine über den reinen Kurbetrieb hinaus- reichende Bekanntheit „genoß“. (5)
Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt im Waldsanatorium Davos kam Thomas Manns Frau Katia zur Nachbehandlung ihres nie bestätigten tuberkulösen Lungenleidens zum ersten Mal in das Waldsanatorium Arosa. Bis Mitte der fünfziger Jahre sind weitere Aufenthalte in das dann 1932 umfunktionierte und umbenannte Neue Waldhotel bekannt. Die frühen Aufenthalte und Briefe seiner Frau Katia in Davos und Arosa in den neunzehnhundertzehner Jahren inspirierten Thomas Mann zu dem Roman, der schließlich am 28. September 1924 veröffentlicht wurde.
Abbildung 1: Das Waldsanatorium Arosa vor dem Umbau, © Gemeinde Arosa Im späteren Umbau werden nach Campellscher Planung die beiden äußeren Bögen des insgesamt sechs-bogigen Arkade deutlich verbreitert, während die vier mittleren Bögen mit tiefen Brüstungen und Fenstern geschlossen und dem großen dahinter liegenden Raum (Lounge) zugeschlagen werden.
Arosa war darüber hinaus ein sehr angesagter sich in den zwanziger Jahren rasant entwickelnder Ort des gehobenen Bürgertums und wiederkehrendes Ziel verschiedener ausländischer, insbesondere englischer Reise-Gruppen. „Es war immer ein Vorteil, dass neben dem Kurort der Erholungsort, die Sommerfrische und der Sportort für Gesunde beliebt war. Arosa hatte, trotzdem es als Kurort für Lungenkranke Weltgeltung bekam, doch nie den Ruf eines Ortes, an dem ausschließlich Lungenkranke lebten.“ (6) So wurden seit 1926 immer mehr Sporthotels gebaut und vorhandene Sanatorien in reine Hotels höchster Kategorie umgenutzt. Ende der zwanziger Jahre stand Arosa im Zenith seiner Entwicklung, spürte jedoch in ersten Anzeichnen die Folgen des Kriesenjahres 1929. „Die Deutschen begannen, ihre Geldvorräte zu bewirtschaften. Wer bisher nach Arosa in die Kur ging, sollte nun die Sanatorien im eigenen Land aufsuchen. [...] Ein schlechter Kurs des englischen Pfundes hielt manche Engländer davon ab, die Ferien in Arosa zu verbringen.“ (7)
In welcher Weise der erste Kontakt zwischen Campbell und den Verantwortlichen des Waldsanatoriums Arosa erfolgte, ist bis jetzt nicht bekannt, aber schon in der Zeit von 1928/1929, in der Campbell nach der Auflösung der Büropartnerschaft mit den Architekten Thomas Falconer und Harold Baker noch unter der alten gemeinsamen Büroadresse in London firmiert, bearbeitet Campbell die zentrale Halle/Lounge samt der nach außen liegenden Arkadenterrasse in einem Ideal-Entwurf, der in dieser Form in vielen Teilen in der späteren Umsetzung um ca. 1930/31 nicht berücksichtigt worden ist.
Abbildung 2: Das Waldsanatorium Arosa, die Halle in der Ideal-Planung, 1928/1929 (© Privatarchiv-FH)
In dieser Planung sieht man die Erweiterung der Halle im Bereich der 4 mittleren Bögen in der Außenarkade und die damit verbundene Erweiterung der äußeren Bögen rechts und links. Die Trennung der umliegenden Räume zur Halle findet gleichwertig über eine freigestellte Rundstütze statt, die sich sowohl auf die klassische Boden- als auch Kassettendeckenplanung bezieht. Ein gestalterisches Motiv, dass auch in der Arbeit mit Eduard Pfeiffer in der Gestaltung des Ladens Unter den Linden von Emil Lettré zum tragen kam, der neben vielen bekannten Persönlichkeiten auch Erika Mann als Kundin zählte. (8)
In einem Schreiben an den Silber- und Goldschmied Emil Lettré erwähnt Campbell, dass er am Ende nur einen Raum umgesetzt hat, wobei nicht eindeutig ist inwieweit mit der Bezeichnung Raum die gesamte Lounge mit anliegenden Kaminräumen gemeint ist, oder dann am Ende nur die Bearbeitung eines dieser Räume zum Kaminraum stattgefunden hat.
„Mein lieber Lettré. Leid tut es mir sehr dass Du krank gewesen warst. Arosa ist ein guter Platz sich zu erholen und ich hoffe dass es bald geschieht. Das Sanatorium heißt Wald-Sanatorium, Dr. Kurt Rechter war der Oberarzt. Ich habe jedoch gehört dass er fort ist: Ein feiner Mann. Das Sanatorium ist nicht sehr schön. Nur einen Raum habe ich eingerichtet und es war schwer aus das [...] was zu machen.“ (9)
Abbildung 3: Das Waldsanatorium Arosa, der rechte Kaminraum, ca. 1931, © The RIBA Library und (© Privatarchiv-FH)
In der ausgeführten Raumsituation wiederholt sich auch im Innenraum das Motiv der tiefleibigen Bogenkonstruktion in einfacher und nahezu schmuckloser Form, eine Übernahme des Motivs der verblendeten Durchgangsbögen bei dem etwa gleichzeitigen Projekt des Hauses Dr. Heymann in Potsdam Nedlitz aus dem Jahre 1930/31. Im Bildhintergrund die typischen kleinteiligen Vertäfelungsarbeiten mit Einbindung der Türe und des mit Mauerstein schmuckartig umrandeten Kamins; in ihrer Lage entsprechend der ersten Planung von 1928/1929.
(1) Hans Rose, München und das Englische, Aufsatz zur Festschrift zum 50. Geburtstag von Wilhelm Hausenstein, 1933, Neuerscheinung in Schöne Heimat, Erbe und Gegenwart, Bayerischer Landesverein für Heimatpflege E.V., 47. Jahrgang, Heft 2, München 1958, S. 465
(2) Afra Schick, Möbel für den Märchenkönig, Ludwig II. und die Münchner Hofschreinerei Anton Pössenbacher, S.24-25, Stuttgart 2003
(3) Rudolf Pfister, John A. Campbell, in der Zeitschrift Baukunst, S. 149, Heft 6, München 1928
(4) Hans Ottomeyer und Alfred Ziffer, Möbel des Neoklassizismus und der Neuen Sachlichkeit, S. 114, München 1993
(5) Hans Danuser, Arosa wie es damals war, Band 3 1928-1946, S.16, Arosa 1999, Zitat Dr. Otto Amrein: „Inzwischen war durch Ferdinand Sauerbruch die Lungenchirurgie vorangetrieben worden. Diese Operationen konnten auch im Tiefland ausgeführt werden, wobei die Chirurgen in den grossen Krankenhäusern die zwingende Notwendigkeit zu klimatischen Kuren im Hochgebirge verneinten. Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ hat uns in dieser kritischen Zeit ebenfalls geschadet.“
(6-7) Hans Danuser, Arosa wie es damals war, Band 2 1908-1928 und Band 3 1928-1946, S. 14, S. 56, Arosa 1999
(8) Norbert Hanenberg, Die goldenen Zwanziger von ihrer kultiviertesten Seite, Die Möbelschöpfungen von Lettrés bestem Freund, Eduard Pfeiffer“. In: Orangerie - Ausstellungstextbeitrag, Berlin 2017: „Aus Pfeiffers Werk sind [...] die beiden für und mit Emil Lettré entwickelten Bauten [unter teilweiser Beteiligung von John A. Campbell] in Berlin zu nennen: zum einen Lettrés Wohnhaus von 1922 in Berlin Westend, als einer der interessantesten Beiträge der Berliner Architektur der Moderne, und zum anderen der einzigartige „Laden“ von Emil Lettré unter den Linden von 1928, der in seiner Zeit Treffpunkt für Kulturgrößen von Rilke bis Hauptmann, von Pamela Wedekind bis Erika Mann war.“
(9) John A. Campbell, Brief an Emil Lettré, 8. März 1937, Nachlass Familie Emil Lettré
Publikationen
Hanenberg, Norbert: John Archibald Campbell und Thomas Mann - Berührungspunkte. Das Englische in Deutschland. In: INSITU - Zeitschrift für Architekturgeschichte, Heft 2, Worms 2021
Der Stadtbaustein DAfStb/BMBF-Forschungsvorhaben "Nachhaltig Bauen mit Beton"
Verbundvorhaben "Nachhaltig Bauen mit Beton"
Direkte Laufzeit 2005-2010
Träger:
DAfStb Deutscher Ausschuss für Stahlbeton und
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung
Drittmittelgeber:
Bundesverband der Deutschen Transportbetonindustrie e.V.
Fachvereinigung Deutscher Betonfertigteilbau e.V.
Institut für Stahlbetonbewehrung e.V.
Bundesverband Spannbetonfertigteildecken e.V.
Bilfinger Berger AG
VGB-Forschungsstiftung
Vattenfall Europe to Energy/MVR
Bundesverband der Leichtzuschlag-Industrie e.V.
Landeshauptstadt München
2005 - 2010 im interdisziplinären Forschungsteam der RWTH Aachen
(Massivbau, Gebäudetechnik, Baukonstruktion) in Kooperation mit
der TU München und dem Fraunhofer-Institut Stuttgart zum Themenbereich
"Nachhaltiges Bauen mit Beton" in Zusammenarbeit mit
dem DIN Deutsches Institut für Normung e.V.
dem Deutschen Ausschuss für Stahlbeton DAfStb
Teilprojekt C: Ressourcen- und energieeffiziente, adaptive Gebäudekonzepte im Geschossbau
Projektbeteiligte
Lehrstuhl und Institut für Massivbau an der RWTH Aachen
Lehrstuhl Baukonstruktion2 an der RWTH Aachen (mit Prof. Dipl.-Ing. Norbert Hanenberg)
Lehrstuhl für Baubetrieb und Gebäudetechnik an der RWTH Aachen
Lehrstuhl für Massivbau an der TU München
Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart
Teilprojekt C1 - Gebäudestrukturen für flexible NutzungenTeilprojekt C1 – Gebäudestrukturen für flexible Nutz
Im Teilprojekt C1 des Verbundforschungsvorhabens werden in der Phase 1 bestehende Planungs-, Bemessungs- und Konstruktionsprinzipien genormter Hochleistungswerkstoffe herangezogen und auf ihr Potenzial zur Entwicklung flexibler Tragelemente und -strukturen untersucht. Dabei haben die hybriden Tragstrukturen bauphysikalischen Anforderungen zu erfüllen und verschiedene Funktionen der Gebäudetechnik aufzunehmen.
Anforderungsprofile an Gebäudestrukturen
In der Entwicklungserwartung zukünftiger gesellschaftlicher Prozesse und Paradigmenwechsel, unabsehbaren Veränderungen in den Arbeitswelten und nicht zuletzt in gesellschaftspolitischen Wandlungen, bis hin zu veränderten Wohn- und Interaktionsformen, die sich in ihrer Vielfalt heute kaum umfassend beschreiben lassen, liegt das Feld von architektonisch relevanten Aspekten und Untersuchungsparametern in diesem Forschungsvorhaben. Kulminationspunkte innerhalb dieser weitläufigen Prozesse lassen sich in Städten und Stadtgefügen beobachten, die schnell und anpassungsfähig Prozesse begleiten und generieren. Diese Wandlungsprozesse in den Städten verändern kurz- und langfristig die verschiedensten Felder von Stadtstrukturen und generieren erweiterte und neuartige Anforderungsprofile an bestehende und zu errichtende Gebäudestrukturen. Die zu erwartende Dynamisierung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse erfordert gleichermaßen die Anpassungsfähigkeit von Stadtstrukturen sowie die Flexibilität für Nutzungsänderungen innerhalb bestehender Gebäudestrukturen.
Im Sinne dieser baulichen Verdichtung in Städten und Stadtstrukturen, bedarf es innovativer Gebäudekonzepte, anpassungsfähiger, wandelbarer Gebäudestrukturen, die unterschiedliche und sich verändernde Nutzungen im städtischen Umfeld wahlweise ermöglichen; Gebäudestrukturen, die im Zusammenspiel baukonstruktiv-architektonischer, tragwerks- und gebäudetechnischer Aspekte Antworten im Sinne einer Nutzungsflexibilität beinhalten. Als Bezugspunkt der Untersuchungen innerhalb des Projektes C wurde in diesem Teilprojekt der so genannte Stadtbaustein entwickelt, der als Abfragematrix und Beispielstruktur dienen soll.
Der Stadtbaustein
Das weite Feld aller wichtigen Faktoren und Parameter in der Beschreibung der Prozesse in ihren Ursachen und Prägungen, die Überprüfbarkeit und letztendlich der Bezug zur praktischen Anwendung, verlangt nach einem Korrektiv, einer Projektionsfläche, die die gemeinsamen Arbeitsrichtungen und Zielsetzungen beschreibt und überprüfbar macht: der Stadtbaustein. Mit dem Begriff "Stadtbaustein" wird zunächst nur ein Anforderungsprofil an zukünftige städtische Strukturen beschrieben und nicht eine bauliche Lösung oder ein konkretes Gebäude.
In der Bearbeitung unterschiedlichster Schwerpunkte werden die Begriffe der Flexibilität und der Adaptionsfähigkeit im Sinne einer Nachhaltigkeit in Bezug auf ihre jeweiligen Schnittstellen am Stadtbaustein behandelt.
Ausschnitt intelligente Deckenstruktur Stadtbaustein im Belastungsversuch und Darstellung möglicher Strukturquerschnitte und Kopplungspunkten.
Publikationen
Hanenberg, Norbert
Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb/BMBF-Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Beton“ – Schlussberichte zur ersten Phase, Beuth Verlag, Berlin 2007.
Hanenberg, Norbert: In bft international, february 2010, 54. Ulmer Betontage, page 20-21 and 28-29
Der Stadtbaustein im DAfStb/BMBF-Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Beton“ – Ressourcen- und energieeffiziente, adaptive Gebäudekonzepte im Geschossbau - Teilprojekt C, Beuth Verlag, Berlin 2011.
Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Beton“ -Dossier zu Nachhaltigkeits-untersuchungen - Teilprojekt A, Beuth Verlag, Berlin 2014.