Hugo von Ritgen
- Erläuterung Forschungsprojekt
- Teil 1 Digitale Bauaufnahme
- Teil 2 Historische und kunsthistorische Fragestellungen
- Kurzvita Hugo von Ritgen
- Beteiligte Akteure
- Erste Ergebnisse
- Einblicke in das OEuvre
Erläuterung Forschungsprojekt
Das Projekt widmet sich der Erforschung des Architekten, Denkmalpflegers, Hochschullehrers und Künstlers Hugo von Ritgen (1811-1889), der überwiegend in Hessen und Thüringen tätig war. Während sein Schaffen auf der Wartburg gut erarbeitet ist, wurden seine Arbeiten in Gießen und Umgebung bis jetzt nicht umfassend untersucht.
Übergeordnetes Forschungsziel ist die Erschließung und Aufarbeitung der Laufbahn und des Werks Hugo von Ritgens im Kontext der Epoche und der sie bestimmenden Debatten. Zu den wesentlichen damaligen Herausforderungen zählten die durch die Industrialisierung bewirkten sozialen Transformationsprozesse, denen auch mittels baukünstlerischer und -technischer Konzepte begegnet wurde. Im 19. Jh. versuchten Ritgen und andere Akteure durch die Weiterentwicklung mittelalterlicher Konstruktionssysteme und historischer Stile, die Architektur an die Bedürfnisse der Gegenwart anzupassen. Dadurch war einerseits eine Kontinuität technischer und architektonischer Errungenschaften gegeben, andererseits kamen innovative Ideen zum Einsatz. In diesem Zusammenhang ist auch zu erörtern, inwiefern der Blick auf das 19. Jh. helfen kann, Antworten auf aktuelle Fragestellungen zu finden. Denn dank moderner digitaler Technik können wir Bauten des 19. Jh. heute besser verstehen und historisches Wissen reaktivieren, um es für zukünftige Bauaufgaben fruchtbar zu machen.
Die Untersuchung zielt darauf ab, Ritgen einerseits als beispielhaften Vertreter seiner Zeit, andererseits als typisch hessisch oder regionaltypisch zu charakterisieren. Dabei ist zu klären, inwieweit die regionalen Gegebenheiten sein Handeln und Schaffen beeinflussten. Die Studie fokussiert somit Aspekte der Heimat- und Regionalforschung, nimmt aber auch Ritgens nationale bzw. regionale Karriere sowie das Verhältnis von Peripherie und Zentrum in den Blick. Es wird angestrebt, übergreifende Erkenntnisse über die Denkmalpflege, Architektur, Fachgeschichte und Gelehrtengesellschaft im 19. Jh. zu erlangen.
Teil 1 Digitale Bauaufnahme
Viele von Ritgens Bauten sind komplett oder zum Teil zerstört; Pläne oder Entwürfe sind nicht immer erhalten. Daher ist es ein dringendes Anliegen, die noch vorhandenen Bauten bzw. Bauteile in einer Fotokampagne zu erfassen und Aufmaße zu erstellen. Mittels Laserscans sollen die Bauten zudem als Punktwolke digitalisiert werden, um maßstäbliche Orthogonalfotografien zu erhalten. Diese Arbeiten können den jetzigen Zustand dauerhaft dokumentieren und bilden die Grundlage für weitere baukonstruktive und baugestalterische Fragestellungen wie die Umsetzung der baukonstruktiven Haltung, die von Ritgen in seiner Habilitationsschrift von 1835 formuliert hat und die Verfolgung der Entwicklung eines eignen Formenkanons für seine verwendeten Bauornamente. Der Fokus der Untersuchung liegt auf den zumeist unveränderlichen Bauteilen wie den Dachstühlen und den obersten weitgespannten Geschoßdecken. Außerdem werden die Fachwerkkonstruktionen, die als "Technisches Fachwerk" bezeichnet werden, genau auf Spuren einer individuellen Weiterentwicklung dieser Konstruktionsart hin untersucht. Die Herkunft und Ausformung der in den Fachwerkkonstruktionen Ritgens verwendeten Bauornamentik ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Betrachtung.
Teil 2 Historische und kunsthistorische Fragestellungen
1. Ziel ist es, Ritgens Werdegang durch einen vergleichenden Blick auf andere Gelehrte in seiner Zeit und in seinem Umfeld verstehen und bewerten zu können. Dabei sind seine Kontakte im In- und Ausland vor dem Hintergrund des rasant anwachsenden Wissenstransfers zu bewerten. Welche Rolle sein bedeutendster Auftraggeber und Förderer, der Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, innerhalb seiner Karriere einnahm, wird für die Gießener Tätigkeiten ausgelotet.
2. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem besseren Verständnis der komplexen Zusammenhänge des Historismus und der Spannungsverhältnisse zwischen historisierenden Tendenzen und innovativen Erfindungen. Ob sich Traditionslinien des Historismus auf Ritgen zurückführen lassen und ob er ein Wegbereiter von gesamtdeutschen Tendenzen bzw. Themen (nationale und regionale Architektur, Konstruktionstechniken, Polychromie, Denkmalpflege) war, wird zu untersuchen sein. Ritgens Einfluss auf die folgende Generation von Architekten, auf Stilentwicklungen und Konstruktionsweisen wird u. a. anhand der Arbeiten einiger seiner Schüler, zu denen u. a. Karl Albrecht Haupt und Paul Wallot gehörten, dargelegt.
3. Anhand seines künstlerischen Œuvres wird der historische Zusammenhang von bildkünstlerischer und entwerfender Tätigkeit veranschaulicht und für das Verständnis seiner architektonischen Praxis fruchtbar gemacht. Ein Vergleich mit seinen damaligen Kollegen wird zeigen, inwiefern er Darstellungsmodi von „Heimatmalerei“ und der sog. Burgenromantik für seine Kunst adaptierte. Auch werden seine Blätter auf eine politische Bedeutung hin erforscht, da sie als Quellen einer historisch aufgeladenen Landschaftsmalerei gelten, die sich zwischen Romantik und Historismus situiert.
4. Ein weiteres Ziel ist die Erforschung von Ritgens Einfluss auf die wissenschaftlichen Diskurse, die städtische Entwicklung sowie auf soziale, kulturelle und ökonomische Umstände in der Region Gießen. Konkret wird die Differenzierung von Ausbildungsgängen betrachtet, die sich im Zuge der zunehmenden Industrialisierung vollzog. Dabei werden die Gründungsgeschichte des Vorläufers der Technischen Hochschule Mittelhessen untersucht sowie Ritgens Mitwirken beim Aufbau des Gießener Museums. Schließlich wird ausgelotet, welchen Anteil er an der Etablierung des Fachs Kunstgeschichte an der Gießener Universität und darüber hinaus hatte.
Kurzvita Hugo von Ritgen
Hugo von Ritgen (1811-1889) betätigte sich als Universitätsprofessor, Architekt, Denkmalpfleger und Künstler. Er war ab 1828 an der Landesuniversität Gießen für Medizin und Philosophie eingeschrieben und ab 1830/31 studierte er bei dem Hofbaudirektor Georg Moller in Darmstadt Architektur. Kurz nach seiner Promotion zum Dr. phil. unternahm er 1833/34 eine Studienreise, aber nicht wie üblich, nach Italien, sondern nach Belgien und Nord-Frankreich. In Paris knüpfte er Kontakte mit Künstlern und Wissenschaftlern, u. a. mit Jakob Ignaz Hittorff und arbeitete im Atelier von Félix Duban. Er habilitierte sich 1835 an der Landesuniversität Gießen, erhielt erste Lehraufträge und wurde ebendort 1837 als Repetent im Baufach eingestellt. 1838 wurde er zum außerordentlichen Professor und 1843 zum ordentlichen Professor für Architektur ernannt. Ebenfalls 1838 wirkte er an der Gründung der Gewerbeschule mit, einer Vorläuferinstitution der heutigen Technischen Hochschule Mittelhessen (THM). Neben seiner Lehre war er als freischaffender Architekt tätig und von 1849 bis zu seinem Lebensende mit der Wiederherstellung der Wartburg betraut. Das Gießener Institut für Bau- und Ingenieurwissenschaften wurde 1874 an die Polytechnische Schule Darmstadt verlegt. Daraufhin wurde Ritgens Professur für Architektur in einen Lehrstuhl für Kunstwissenschaft umgewandelt – ein Fach, das an der Gießener Universität zuvor nicht existiert hatte.
Beteiligte Akteure
Das Forschungsvorhaben wird von folgenden Personen in Kooperation durchgeführt:
Prof. Dr. Sigrid Ruby, JLU Gießen, Institut für Kunstgeschichte,
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Prof. Nikolaus Zieske, Dipl.-Ing. Architekt, THM Gießen, Fachgebiet Architektur, Questo indirizzo email è protetto dagli spambots. È necessario abilitare JavaScript per vederlo.
Ulrike Wassermann, Dipl.-Ing. Architektin, THM Gießen, Fachgebiet Architektur, Questo indirizzo email è protetto dagli spambots. È necessario abilitare JavaScript per vederlo.
Dr. Yvonne Rickert, Kunsthistorikerin, Marburg,
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Erste Ergebnisse
Unter der Leitung von N. Zieske und U. Wassermann (THM Gießen, Fachgebiet Architektur) konnten bereits
die Friedhofskapelle in Gießen (Frühjahr 2020),
das Schweizer Haus im Gail‘schen Park in Biebertal (Herbst 2020)
die Villa Wittgenstein (Berleburg) in Schlitz (Frühjahr 2021)
mittels Laserscan als Punktwolke digitalisiert werden. Diese digitalen Bauaufnahmen dienen der baukonstruktiven und baugestalterischen Untersuchung.
Im Rahmen von Werkverträgen, finanziert seitens des Instituts für Kunstgeschichte der JLU (S. Ruby) und der THM (N. Zieske), konnten von Yvonne Rickert bereits signifikante Vorarbeiten geleistet werden. U. a. hat sie den künstlerischen Nachlass im Oberhessischen Museum Gießen gesichtet und Arbeitsfotografien erstellt. Die einschlägige Literatur zu dem Thema wurde konsultiert und mit deren Auswertung begonnen. Ausgewählte Bauwerke Ritgens konnten besichtigt und fotografiert werden. Erste Quellen aus dem Gießener Stadtarchiv und dem Universitätsarchiv der JLU wurden gesichtet und ausgewertet.
Am 17. Mai 2019 fand an der THM ein gemeinsam ausgerichtetes Roundtable-Gespräch statt, zu dem Fachvertreterinnen und Fachvertreter aus den Bereichen Denkmalpflege, Architektur(geschichte), Kunstgeschichte, Geschichte, Archivwesen und Museum geladen waren:
Dr. Ludwig Brake (Stadtarchiv Gießen),
Dr. Katharina Benak (Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden),
Dr. Grit Jacobs (Wartburg-Stiftung, Eisenach),
PD Dr. Markus Dauss (Goethe-Universität, Frankfurt),
Prof. Dr. Holger Gräf (Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg),
Prof. Dr. Christiane Salge (TU Darmstadt),
Dr. Meinrad von Engelberg (TU Darmstadt; Förderverein Deutsches Forschungszentrum Historismus, Wiesbaden),
Dr. Katharina Weick-Joch (Oberhessisches Museum, Gießen).
Yvonne Rickert hat in dem kollegialen Zusammenhang das Forschungsvorhaben dort präsentiert und zur Diskussion gestellt.
Am 29. Januar 2021 hat Yvonne Rickert ihre Forschungsergebnisse auf dem Symposium der TU Darmstadt (organisiert von C. Salge, L. Beißwanger, A. Karentzos) „Zwischen Enklave und Vernetzung: Kunstgeschichte an der TU Darmstadt“ vorgestellt. Im Fokus des Beitrags standen die Ausbildung, Lehrtätigkeit und wissenschaftliche Laufbahn Hugo von Ritgens sowie die Etablierung und Entwicklung der Fächer Bau- und Ingenieurwissenschaften bzw. Kunstwissenschaft an der JLU im 19. Jahrhundert. Die Publikation der Symposiumsbeiträge ist für 2021 geplant.
Einblicke in das OEuvre
Wartburghof, Hugo von Ritgen
Aquarelle, Hugo von Ritgen
Figurentafell aus der Habilitationsschrift Hugo von Ritgen
Entwurf Wohnhaus Ferdinand Gail in Gießen, Hugo von Ritgen
Detailplan für Villa Wittgenstein in Schlitz, Hugo von Ritgen