Das Studium eines technischen, natur- oder wirtschaftswissenschaftlichen Fachs erfordert die Einarbeitung in vielerlei Grafiken, Formeln und Pläne. Für Sehende komplex, stellt solch ein Studium blinde oder sehbehinderte Studierende vor besondere Herausforderungen. Aus diesem Grund entscheiden sich immer noch vergleichbar wenige blinde Abiturienten für ein Studium, und wenn dann eher eins der nichttechnischen Fächer.

Dabei wäre die Bilanz ermutigend. Seheingeschränkte Studierende der Technischen Hochschule Mittelhessen können sich seit nunmehr 25 Jahren auf die Unterstützung des BliZ Zentrums für blinde und sehbehinderte Studierende verlassen. Dieses Zentrum ermöglicht mit insgesamt 11 Mitarbeitern den Erwerb von Fachwissen mit speziellen Hilfsmitteln. Ob Skripte in Braille, fühlbare Grafiken, 3D-Modelle oder Dokumente aufbereitet für Vorlese-Software – das Studium aller THM-Fächer von Architektur bis Wirtschaftsinformatik vermittelt Sehbehinderten die gleichen Inhalte wie allen anderen Studierenden, mit gleichzeitig weit überdurchschnittlichem Studienerfolg. Die Erfolgsquote ist bei blinden Studierenden höher als bei ihren sehenden Kommilitonen. Die Vermittlungsquote in die Industrie, zu der die THM ein reges Netzwerk unterhält, ist hoch. Nicht zuletzt garantiert auch eine strategische Kooperation des BliZ mit der hessischen Landesverwaltung, dass schwerbehinderte Absolventen bevorzugt berücksichtigt werden.  

Um sehbehinderten Schülern diese Perspektive aufzuzeigen, veranstaltete das BliZ am 9. Mai einen Tag der Offenen Tür für Schülerinnen und Schüler der Deutschen Blindenstudienanstalt BliStA aus Marburg. Mit der BliStA verbindet die THM eine besonders intensive Zusammenarbeit, die bereits in wissenschaftliche Publikationen und Forschungsprojekten ihren Ausdruck fand. (siehe auch: https://www.fr.de/frankfurt/sight-city-in-frankfurt-lernen-was-man-nicht-sieht-92274570.html; Messe vom 10. Bis 12. Mai).

Insgesamt 30 Teilnehmende aus den Klassen 10 bis 12 sowie 5 Lehrerinnen und Lehrer erlebten ein abwechslungsreiches Programm in den Räumen des Blindenzentrums der THM.

Zeki Öztürk, selbst Ehemaliger der BliStA, Absolvent der THM und seit mehreren Jahren Berater für Studium und Nachteilsausgleiche, führte als Organisator behutsam durch das Programm, bei dem auch sehr viel Raum für Rückfragen und Diskussionen blieb. Zunächst wurde der Verlauf von Beratung, Studienbeginn, Vorlesungen und Praktika sowie der Jobsuche erläutert. Auch Fragen der Wohnung, der Freizeitgestaltung und des Hochschulsports wurden angesprochen. Zwei sehbehinderte ehemalige Studierende berichteten von ihren Erfahrungen und konnte auf Bedenken und konkrete Fragen eingehen.

Auf besonders großes Interesse stieß die Möglichkeit, ein integriertes Studiensemester im Ausland zu absolvieren. Aufgrund einer neuen Förderlinie des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD kann dies für schwerbehinderte Studierende kostenneutral erfolgen – beispielsweise werden sämtliche Kosten für eine Begleitperson oder eine Betreuung vor Ort bis zu 12.000 Euro je Semester getragen. Andreas Deitmer, stellvertretender Direktor des BliZ und selbst blind, der gerade seine Promotion in Lissabon anfertigt, berichtete von seinen inspirierenden Aufenthalten in der portugiesischen Hauptstadt und seinen Begegnungen mit internationalen Kommilitonen.  

Im Anschluss durften die Schüler der 12. Klasse einer Vorlesung „Nachhaltigkeitsmanagement“ beiwohnen, um Hörsaal-Luft zu schnuppern. Die jüngeren Teilnehmenden erlebten in kleineren Gruppen Workshops zum Thema Logistik, Elektrotechnik und 3D-Programmierung. Dass auch hier ein blinder promovierter Forscher des Fachbereichs MNI sowie ein blinder Programmierer des BliZ höchst anspruchsvolle Arbeit zeigten, hinterließ großen Eindruck.

Beim gemeinsamen Mittagessen ließen alle Beteiligten den Vormittag Revue passieren. Die Rückmeldung von Schülerinnen und Schülern sowie der Lehrkräfte war überwältigend positiv. Die Anregung, auch den Eltern der Teilnehmenden die THM-Angebote zu präsentieren, wurde gerne aufgegriffen. Die Mitarbeiter des BliZ wiederum waren höchst positiv überrascht von der Kooperationsbereitschaft und Auffassungsgabe der BliStA-Teilnehmenden. Der Tag der Offenen Tür soll in dieser Form nun jährlich stattfinden und die Zusammenarbeit von BliZ und BliStA weiter intensivieren.

Gruppenbild, Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer der blista, Dozierenden der THM und Mitarbeitende des BliZ

Abbildung 1: Tag der Offenen Tür im BliZ an der THM | Gruppenfoto

Gemeinsames Mittagessen an der THM

Abbildung 2: um nicht nur den "Wissensdurst" zu stillen | gemeinsames Mittagessen an der Technischen Hochschule Mittelhessen, zum Austausch mit Mitschülerinnen und Mitschülern, Lehrenden der BliStA und dem Team des BliZ, Fachbereichs MuK, W und MNI