Für Forscher*innen ist es ein Höhepunkt, wenn die Resultate langer Entwicklungsarbeit im Rahmen von praktischen Experimenten erprobt und validiert werden. Gerade im Bereich der maritimen Robotik ist dies sehr aufwändig, weil entsprechendes Equipment teuer und kompliziert zu bedienen ist. Prof. Dr. Thomas Glotzbach, der seit September 2019 am Fachbereich Elektro- und Informationstechnik tätig ist, hat langjährige Erfahrung in der maritimen Robotik und möchte dieses Themengebiet auch an der THM vorantreiben. Zu diesem Zwecke hat er gemeinsam mit dem Consiglio Nazionale delle Ricerche (CNR), einer italienischen Behörde zur Förderung und Unterstützung von Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, ein Europäisches Forschungsprojekt eingeworben. Dieses ermöglichte insbesondere Personal der THM den Zugang zu dem Equipment der italienischen Kolleg*innen des Istituto di Ingegneria del Mare (CNR-INM). Im Juni 2021 erfolgten die finalen Versuche dieses Projektes.
Im Rahmen der gemeinsamen Projektarbeit unter dem Namen DINGOS (Distributed Navigation, Guidance and Control of Modular Autonomous Surface Vehicles) wurde an der THM Software zur autonomen Steuerung eines maritimen unbemannten Oberflächenroboters entwickelt. Das von den italienischen Kolleg*innen gebaute Fahrzeug mit der Bezeichnung SWAMP (Shallow Water Autonomous Multipurpose Platform) kann in zwei Teilsysteme zerlegt werden, welche dann unabhängig voneinander agieren können.
An der THM wurden zum einen Algorithmen entwickelt und umgesetzt, welche das eine Fahrzeugteil einen vorgegebenen Pfad abfahren lässt, während das andere in parametrierbarem Abstand und Ausrichtung folgt. Außerdem wurde der Fahrzeugsimulator weiterentwickelt. Die Entwicklungen erfolgten schwerpunktmäßig im Rahmen von zwei Projektarbeiten der Studentinnen Theresa Köster und Johanna Noria Brecher, welche beide den von der THM und der Justus-Liebig-Universität Gießen kooperativ angebotenen Studiengang „Physik und Technologie für Raumfahrtanwendungen“ absolvieren.
Ursprünglich war vorgesehen, die Ergebnisse im Januar 2021 gemeinsam mit den beteiligten Studierenden in Genua zu testen. Aufgrund der Corona-Situation wurden die Tests dann auf den Sommer verschoben, und seitens der THM war nur die Teilnahme von festangestellten Personen gestattet.
Am 11. Juni war es dann endlich soweit: Prof. Dr. Thomas Glotzbach und Dipl.-Ing. (FH) Klaus Pechan machten sich auf die Reise nach Genua, wo sie von den Kolleg*innen aus einer Forschungsgruppe des CNR-INM unter der Leitung von Dr. Massimo Caccia herzlich willkommen geheißen wurden. Nach Besichtigung der Laborräume der Kollegen vor Ort wurde dann die Einsatzzentrale für die Seeversuche an einer vom Meer abgetrennten Kajakruderstrecke im Stadtteil Prà aufgebaut. In den kommenden vier Tagen bemühten sich die Wissenschaftler*innen, die zuvor erstellten und simulativ getesteten Algorithmen auf den beiden realen Robotern umzusetzen. Dabei ergaben sich immer wieder verschiedene Probleme, die behoben werden mussten, beispielsweise eine falsche Kompasskalibrierung, schwaches WLAN-Signal, loses Übertragungszahnrad in einem der Antriebe. Besonders Laboringenieur Klaus Pechan, der zum ersten Mal mit maritimen Robotern arbeitete, konnte viele neue Erfahrungen in diesem Gebiet sammeln. Entsprechend fällt sein Fazit der Seeversuche aus: „In der Robotik auf dem Wasser zeigt sich das Wesen des Ingenieursdaseins: es gilt sich mit möglichst einfachen vorhandenen Mitteln Problemen entgegen zu stellen, für die es noch keine Lösungen ‚von der Stange‘ gibt“.
Gegen Ende der Versuchszeit gelang es dann schließlich, die Roboter wie geplant operieren zu lassen. Das beigefügte Video zeigt das erfolgreiche Abfahren einer vorgegebenen Bahn durch den grünen Roboter, während der Rote ihm folgt.
Somit konnte das DINGOS-Projekt erfolgreich abgeschlossen werden. Die Resultate wurden in zwei gemeinsamen Veröffentlichungen auf einer internationalen Fachkonferenz präsentiert. Die Zusammenarbeit zwischen CNR-INM und THM wurde von beiden Seiten als sehr angenehm empfunden, weswegen mittlerweile ein Collaboration Agreement zwischen beiden Institutionen geschlossen wurde. „Damit möchten wir die internationale Zusammenarbeit stärken, gemeinsame Forschungsaktivitäten vorantreiben, und nicht zuletzt zukünftig auch unseren Studierenden Forschungsaufenthalte bei unseren Kollegen in Genua ermöglichen – besonders, da bei diesen Seeversuchen leider keine Studierenden teilnehmen konnten“, fasst Prof. Glotzbach zusammen.