Forschergruppe: Jörg Wichmann, Prof. Jens Minnert, Manuel Koob, Markus Blatt, Daniel Wolff (von links) befassen sich mit Fachwerkkonstruktionen für Windenergieanlagen.Die „Entwicklung eines innovativen Hybridfachwerks“ für Windenergieanlagen ist Ziel eines Forschungsprojekts an der Technischen Hochschule Mittelhessen. Projektleiter Prof. Dr. Jens Minnert vom Gießener Fachbereich Bauwesen kooperiert dabei mit dem Oberhessischen Spannbetonwerk in Nidda. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit 400.000 Euro.

Die Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen im Binnenland hängt von deren Höhe ab. Der Stromertrag steigt pro Meter um etwa ein Prozent. Bauten von 100 Metern und mehr haben sich deshalb durchgesetzt. Freitragende Stahlrohrtürme waren in der Vergan­genheit Standard. Ihr Nachteil: Man kann sie nicht beliebig aufstocken. Eine kostengünstige Alternative sind Betonkonstruktionen, mit denen sich aus Fertigbauteilen sehr hohe Türme bauen lassen. In letzter Zeit kommen vermehrt Hybridtürme zum Einsatz, bei denen auf ein Betontragwerk ein Stahlrohrturm aufgesetzt wird.

Minnert und sein Team haben in einem 2014 abgeschlossenen Projekt einen Betonturm entwickelt, dessen Eckelemente aus Stahlbetonfertigteilen bestehen, die durch ein Stahlfachwerk verbunden sind. Diese Konstruktionsart führt zu einer erheblichen Material- und Arbeitsersparnis gegenüber der traditionellen Bauweise, bei der die Eckelemente mit nach oben schmaler werdenden Betonteilen verbunden sind.

Im aktuellen Projekt wollen die Gießener Forscher ihr Turmmodell weiter verbessern. Dafür testen sie zwei verschiedene ressourcenschonende Fachwerkstrukturen. Einmal besteht die Konstruktion aus vorgespannten Betonstäben unterschiedlicher Festigkeitsgrade. In der zweiten Variante verwenden sie Stahlwalzprofile mit Aussparungen von verschiedener geometrischer Form. Die Profile, die bis zu sieben Meter lang sind, werden an beiden Enden in die Eckelemente einbetoniert. Der Beton, der in den Aussparungen erhärtet, bildet Dübel, die die Konstruktion halten.

Computersimulation der Belastung der Betoneckelemente und des Fachwerks aus Betonstäben. Die stärkste Materialbeanspruchung tritt an den Stellen mit rötlicher Färbung auf.Das Hauptaugenmerk liegt auf der Erforschung der jeweiligen Stabilität unter Dauerbelastung. „Bei Windenergieanlagen handelt es sich um hochgradig dynamisch beanspruchte Bauwerke, bei denen alle Komponenten der Tragstruktur eine ausreichende Ermüdungsfestigkeit aufweisen müssen. Dabei treten über die Lebensdauer der Anlage wesentlich mehr Lastwechsel auf als bei üblichen Bauwerken“, sagt Minnert. Der Rotor einer Anlage dreht sich etwa 20 Mal in der Minute. Bei einer rechnerischen Lebensdauer von 20 Jahren bedeutet das 200 Millionen Lastwechsel, für die sämtliche Bauteile ausgelegt sein müssen. Das Forschungsprojekt erfordert neben experimentellen Untersuchungen umfangreiche Computersimulationen mit einem speziellen numerischen Verfahren (Finite-Elemente-Methode).

Will man Windenergieanlagen wirtschaftlich betreiben, ist in Nabenhöhe eine Windgeschwindigkeit von mehr als fünf Metern pro Sekunde nötig, so Minnert. Bei 80 Meter hohen Anlagen sei diese Bedingung zum Beispiel in Hessen nur auf 14 Prozent der Fläche erfüllt. Bei Höhen von 140 Metern kämen bereits zwei Drittel der hessischen Fläche als Standort in Frage. Die Nachfrage nach hohen Hybridtürmen werde deshalb in den nächsten Jahren deutlich steigen. Für den von seinem Team entwickelten ressourcenschonenden und einfach zu montierenden Turm sieht Minnert daher gute Vermarktungschancen.

Das Forschungsvorhaben hat eine Laufzeit von vier Jahren und wird im Rahmen des Programms „IngenieurNachwuchs“ gefördert. Ziel dieser Förderlinie des BMBF ist es, junge Forschergruppen an Fachhochschulen zu etablieren. Im Rahmen des Projekts werden die Wissenschaftlichen Mitarbeiter Daniel Wolff und Manuel Koob an der Technischen Universität Graz promovieren.