Die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energieträgern hat der Krieg Russlands in der Ukraine deutlich gemacht. Sorgen vor Gas- und Stromknappheit beherrschen die Nachrichten. Doch Lösungen liegen anwendungsbereit auf dem Tisch. „Wir schaffen hier an der THM die Expertise für die Energieversorgung von morgen. Und forschen an der energetischen Unabhängigkeit“, sagt Prof. Dr. Sven Pohl. Der 45-jährige Ingenieur ist Prodekan am Gießener Fachbereich Maschinenbau und Energietechnik (ME) und überzeugt: Seinem Fachgebiet steht eine rasante Entwicklung bevor.
Das sehen die Studierenden ähnlich: „Ich kann mir einen Job hier in der Region ebenso gut vorstellen wie international“, sagt etwa Energietechnik-Studentin Sofia Russmann. Maschinenbauer Albert Ossó ergänzt: „Mit meinem Studium kann man später in fast jeder Branche arbeiten“. Camilya Amallam möchte ihre Liebe zu Autos mit ihrer Sorge um das Klima in Einklang bringen. Paul Böckmann sagt: „Hier wird die Zukunft mitgedacht“; und Energiewirtschaft-Studentin Mirjam Havekost meint: „Leute wie wir werden händeringend gesucht“. Denn was die jungen Menschen bei ihrer Studienwahl wussten, haben spätestens in diesem Frühjahr auch Großkonzerne und Politik erkannt: Ohne Reformation von Energiesystemen, Energieerzeugung, Energiemarkt geht es nicht weiter.
Mit dem Bachelor-Studiengang „Energiewirtschaft & Energiemanagement“ und den sowohl als Bachelor wie Master angebotenen Fächern „Maschinenbau“ und „Energietechnik“ deckt der Fachbereich das gesamte Themengebiet ab – vom Bau bis zum Betrieb und Management von Anlagen. Und dabei ist es fast unerheblich, um welchen Energieträger und welchen Einsatzzweck es sich handelt. Wasserstoff etwa, wegen dem Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck Kanada besuchten, steht auch bei den Studierenden und Prof. Pohl hoch in Kurs: „Für Flugzeuge, Schiffe und Großmaschinen wird man ihn sicherlich brauchen“, ist Russmann überzeugt. Auch als Energieträger steht er zur Verfügung, erklärt Pohl – etwa durch Elektrolyse mittels überschüssigem Strom von Wind- und Solaranlagen.
Speichermöglichkeiten sind ohnehin ein bedeutendes Thema: Im Forschungsprojekt „Eneff:Stadt Flex-Quartier Gießen“, an dem der Fachbereich beteiligt ist, macht die Speicherung mit Energiezentrale das Herzstück aus. Das gemischte Wohn- und Gewerbegebiet setzt nicht nur auf eine Passivhaus-Bauweise, sondern auf die Speicherung vor Ort erzeugten Stroms und Wärme. Ein Hochtemperatur-Speicher und ein multifunktionaler Batterie-Speicher sollen die Stromversorgung des Quartiers etwa in der Nacht sicherstellen, ein Warmwasser-Schichtenspeichen die Versorgung mit Heizwärme. Das im Bau befindliche Projekt ist auch Teil der Lehre – und einmaliges Anschauungsobjekt für den akademischen Nachwuchs.
Neben dem Wohnen und Arbeiten ist Mobilität ein zentraler Faktor für die energetisch nachhaltige Umgestaltung des Alltags. „Auf welche Lösungen setzen wir da in Zukunft?“, fragt Camilya Amallam. Für Fahrzeuge hat sie sich schon immer interessiert – und ihr Studium bewusst gewählt. „E-Mobilität und Brennstoffzelle sind die Zukunft“, sagt die Studentin: eines für private Fahrzeuge, das andere für Nutzfahrzeuge. Wenn ihre Generation bei „Fridays for Future“ auf die Straße gehe, werde immer nach Lösungen drängender Probleme gerufen. „Hier forschen wir an Lösungsansätzen“, sagt sie begeistert. Das sieht Albert Ossó ähnlich: „Es ist eigentlich egal, ob ich später im Flugzeugbau, im Schiffsbau oder an Windkraftanlagen arbeite“, sagt er – alles Branchen mit Potenzial: „Ich will gerne mal ins Ausland, als Maschinenbauer sind meine Berufschancen quasi unendlich“, findet er.
Dafür ist Prodekan Pohl selbst das Beispiel: Er kommt aus der Forschung eines internationalen Konzerns, hat Jahre in Frankreich verbracht, wechselte in den Anlagenbau, in die industrielle Herstellung von Wasserstoff – und ist bei der THM wieder in der Forschung, aber auch in der Lehre angekommen. „Wir qualifizieren unsere Studierenden für Entwicklungs-, Planungs- und Führungsaufgaben im ganzen Spektrum der Energietechnik“, sagt Pohl. Er ist überzeugt: „Wir können für eine umweltverträgliche Energiesicherheit der Zukunft sorgen“ – nur, und das ist der Wermutstropfen: nicht bereits im kommenden Winter.