Ihren Doktortitel hat sie noch nicht in der Tasche und doch lehrt Nadine Wills an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) bereits in den Immobilien-Studiengängen des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen (WI) in Friedberg. Die 31-Jährige ist – so der Plan – auf dem Weg zur Professur an Hochschulen für Angewandte Wissenschaft (HAW). Dann wird sie als erste Teilnehmerin im Programm „ProTHM“ bei der kooperativen Erlangung von Praxiserfahrung unterstützt. Es hat unter anderem das Ziel, junge sogenannte High Potentials beim Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere zu unterstützen und ist Teil des bundesweiten Förderprogramms „FH Personal“. Insbesondere soll es helfen, die Abwanderung qualifizierter Nachwuchskräfte in die private Wirtschaft entgegenzuwirken.
„Ich hatte tatsächlich auch überlegt, ganz in die Praxis zu gehen. Dabei hatte ich jedoch Bedenken, nach einer gewissen Zeit ,zu weit weg zu sein‘ von der Wissenschaft,“ sagt Wills. Denn für Forschung und Lehre hat sie sich schon früh begeistert. Nach einem Bachelorstudium an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach schloss sie 2013 einen Master in Facility Management an der THM in Friedberg an. Im Anschluss arbeitete sie einige Zeit in der Immobilienprojektentwicklung, bevor sie im Herbst 2016 zurück an die THM wechselte, um die Koordination der Immobilien-Studiengänge am Fachbereich WI zu übernehmen. Ende 2016 entschloss sie sich zu einer berufsbegleitenden Promotion, für die sie die Bauhaus-Universität Weimar als Partner fand. Derzeit wartet sie auf ihre Disputation.
Dass Wills seit dem Frühjahr nur noch zu 30 Prozent an der THM tätig ist, gehört zum Konzept von „ProTHM“: Gerade HAWen benötigen für ihre Lehre Personal, das über Praxis- und Berufserfahrung verfügt. Das ist mit dem Bedarf insbesondere nach jungen Professorinnen und Professoren kaum zu vereinen. Die „Rückgewinnung“ von qualifiziertem Personal, das bereits auf eine erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft blickt, gestaltet sich hingegen oftmals schwierig. „ProTHM“, durch das der THM für sechs Jahre rund 2,56 Millionen Euro zur Verfügung stehen, bindet deshalb High Potenzials wie Nadine Wills an die Hochschule, ermöglicht ihnen aber zugleich die Chance, in ihrem Spezialgebiet praktische Erfahrungen zu sammeln.
Wills etwa ist nun hauptberuflich bei der Deutschen Bundesbank für datenbasierte Management-Verfahren zum gesamten Lebenszyklus von Gebäuden verantwortlich. Zur gleichen Thematik gibt sie auch Vorlesungen an der THM. „Ich würde die Arbeit im Unternehmen und an der THM deshalb auch nicht als Doppelbelastung ansehen“, stellt sie klar – eher als optimale Ergänzung. Ihr Weg zur Stelle war dabei klassisch: Sie hat sich dem regulären Bewerbungsprozess auf eine Stelle unterzogen, die frei auf dem Arbeitsmarkt ausgeschrieben war. Und schon nach vier Monaten im Job spürt Wills den positiven Einfluss der Praxiserfahrung: „Aus den Tätigkeiten, die ich derzeit im Unternehmen habe, konnte ich bereits viele Ideen für die Lehre mitnehmen“, sagt sie. Sie finde nun praktische Beispiele für theoretisch zu vermittelndes Wissen. Sie hoffe, dass sie ihre Vorlesungen für die Studierenden jetzt spannender gestalten könne.
Von praxisorientierter Lehre, wie sie an der THM gelebt wird, habe sie selbst profitiert, sagt sie. „Ich möchte auch künftig Studierenden die Möglichkeit geben, gleichartige positive Erfahrungen zu machen“, so Nadine Wills. Mindestens drei Jahre muss sie in der Wirtschaft tätig gewesen sein, bevor sie die Reife für eine HAW-Professur erlangt. Verpflichtet, diese dann auch weiter anzustreben – oder dies an der THM zu tun – ist sie hingegen nicht.