Standbilder mächtiger Männer und ihrer Pferde prägen öffentliche europäische Plätze seit Jahrhunderten. In Waldgirmes dominierte vor rund 2000 Jahren ein stolzer Heerführer in Bronze ein römisches Lager – heute ist dort eine Replik zu sehen. Ein Original hat vor einigen Tagen Gießen bekommen: Auf dem in den vergangenen Jahren modernisierten und umgebauten C-Campus der THM zwischen Moltkestraße, Eichgärten- und Ringallee reitet eine fast drei Meter hohe Skulptur gen Schwanenteich.
Von Prunk und Dominanz aber ist nicht viel übriggeblieben. Die dänische Künstlerin Benedikte Bjerre dekonstruiert die Machtanspruch vermittelnde Ästhetik dieser Kunstgattung – und hat der THM ein überdimensioniertes Kastanienmännchen vor die Tür gesetzt, das an den nur eingebildet ruhmreichen Don Quijote erinnert. „Das Kunstwerk ist eine spannende Transformation des Begriffs Reiterstandbild“, sagt Prof. Dirk Metzger, Vizepräsident für strategische Bauplanung und Nachhaltigkeit.
Bereits seit den 1950er Jahren wird in Hessen bei öffentlichen Bauprojekten in der Regel ein Betrag von bis zu einem Prozent der Baukosten für Kunst am Bau zur Verfügung gestellt. Das Land nennt dies einen „wichtigen Bestandteil der baukulturellen Verantwortung des Landes Hessen“. Das Engagement diene „der Herstellung von Identifikation, Akzeptanz und Aufmerksamkeit“. Zur Auswahl der Kunst wird ein Wettbewerb ausgerichtet. Die Jurierung erfolgt durch ein Preisgericht aus hessischem Kunstbeirat und Vertretern des Nutzers– hier also der THM.
Im Wettbewerb standen vier Projekte eingeladener Kunstschaffender, die ohne personelle Zuordnung begutachtet wurden. Das elfköpfige Preisgericht, dem vonseiten der THM neben Dirk Metzger auch Dr. Jochen Stengel als Leiter des Facility Managements angehörte, wusste also nicht, welcher Vorschlag von wem eingebracht wurde. Mit dem Reiterstandbild konkurrierten ein markanter weißer Lehmhügel als Symbol für einen Bizeps, ein mäanderartiger Durchbruch des Pflasters in Gestalt eines Flusses aus zehn unterschiedlichen Gesteinsarten und eine durch visuelle Elemente konstruierte Beziehungsachse zwischen dem Neubau C15 und dem Altbau C10.
Das Kastanien-Standbild „ermöglicht eine generationenübergreifende Identifikation und schafft damit einen Wiedererkennungswert für den Standort“, schreibt das Preisgericht in seinem Urteil. Als kindliche „Grundform des Konstruierens“ schaffe es zudem thematischen Bezug zu Lehrinhalten der Hochschule.
Geschaffen hat es die 36-jährige Dänin Benedikte Bjerre, die in Amsterdam lebt und arbeitet. Bjerre erhielt 2016 ihren Master of Fine Arts an der Königlichen Akademie der Künste in Kopenhagen und war davor Meisterschülerin an der Frankfurter Städelschule bei Simon Starling und Peter Fischli. Die Werke der studierten Soziologin verarbeiten Beobachtungen des Alltags, sozialer Muster und ökonomischer Strategien. „Heute funktioniert der Reiter nicht mehr als ein Bild der Leitung, sondern eher als ein Bild der Freiheit“, schreibt sie zu ihrem Entwurf. Reiterstandbilder hätten zwar noch immer eine starke raumordnende Wirkung für öffentliche Plätze – dies aber ungeachtet der dargestellten Person oder ihrer Leistung. Bjerre demokratisiert das heroische Symbol des Reiterstandbilds, indem sie es auf eine Ebene setzt mit den Figürchen, die in jedem Herbst von Kinderhand gebastelt werden.
Umgesetzt wurde die fast drei Meter hohe Skulptur von der Svendborg Yacht Værft aus sandgestrahltem Aluminium. Mit Marinefarben bemalt und Epoxitharz bearbeitet soll sie leicht zu reinigen sein, um im öffentlichen Raum langfristig eine gute Figur zu machen.