Miteinander erfolgreich: die drei Säulen menschenorientierter Führung
Prof. Dr. Manuela Weller, Schwerpunktleiterin Mittelstand&Entrepreneurship, im Interview mit Dr. Karin Uphoff, Geschäftsführerin der connectuu GmbH
Am 11. Juni war Dr. Karin Uphoff, Geschäftsführerin der connectuu GmbH und Trainerin für Führung und Kommunikation, als Referentin bei uns zu Gast. In ihrem Workshop stellte sie das KWN-Prinzip® als Basis für Führung und erfolgreiches Miteinander vor.
Frau Dr. Uphoff, das KWN-Prinzip steht im Mittelpunkt Ihrer Trainings und Coachings. Wie kamen Sie zu diesem Prinzip?
Seit mehr als 20 Jahren begleite ich Führungskräfte und Teams bei dem Aufbau gelingender Kommunikation. In dieser Zeit hat sich die Vorstellung davon, wie Führung gestaltet werden sollte, wesentlich verändert. Führung fand früher eher in geschlossenen Systemen statt und war stark geprägt von Macht, Druck, Kontrolle und Hierarchiedenken. Heute leben wir in offenen Systemen, die eine hohe Komplexität und schnelle Veränderungen mit sich bringen. Dafür ist topdown nicht mehr geeignet. Das Wissen und die Wahrnehmung einzelner reichen nicht mehr aus, wir brauchen Austausch und Voneinanderlernen. Das stellt andere Anforderungen an uns alle, an die Führungskräfte ebenso wie an das Team. Das KWN-Prinzip schafft eine Kommunikationsbasis, auf der Führung und lernendes Miteinander gelingen können.
Worum geht es beim KWN-Prinzip?
Die Buchstaben K, W und N stehen für die drei Säulen des Prinzips. Das sind: Klarheit, Wohlwollen und Neugier.
Klarheit bedeutet, dass wir uns unserer eigenen Werte, Ziele und Bedürfnisse bewusst sind und für sie einstehen. Wohlwollen heißt, dass wir davon ausgehen, dass jede Person zu jeder Zeit ihr Bestmögliches tut. Sollte das nicht dem entsprechen, was wir für das Bestmögliche halten oder was besprochen war, nehmen wir die Neugier dazu, um gemeinsam herauszufinden, woher die Diskrepanz kommt und was wir daraus lernen können.
Das hört sich zunächst einfach an. Aber in der Praxis fällt es uns doch sehr schwer, klar, wohlwollend und neugierig zu sein.
Welche Herausforderungen oder Schwierigkeiten nehmen Sie bei Führungskräften wahr?
Ich habe zu jedem der drei Begriffe einen „Untertitel“ formuliert, der das ganz gut beschreibt: „Klarheit statt Kusche(l)n – raus aus der Harmoniefalle.“ „Wohlwollen statt Wertung – raus aus dem Ärger.“ Und „Neugier statt Nörgeln – raus aus der Komfortzone.“
Fangen wir mal mit der Klarheit an: Raus aus der Harmoniefalle – was meinen Sie damit?
Wir Menschen sind Rudeltiere. Im Kontakt mit anderen Menschen spüren wir Verbundenheit und Zugehörigkeit. Wir brauchen das WIR, auch im Beruflichen. Gleichzeitig werden wir mit Bedürfnissen, Ansichten, Verhaltensweisen konfrontiert, die anders sind als unsere eigenen. Sie fordern uns und möglicherweise leiten wir aus ihnen Erwartungen ab. Das ist anstrengend. Um der Anstrengung – vermeintlich – zu entgehen, passen wir uns an.
Das geht uns auch als Führungskraft so, auch wenn wir das häufig nicht merken. Wir gehen Konflikten aus dem Weg, wir vermeiden klare Worte, um uns nicht unbeliebt zu machen. Das meine ich mit „Harmoniefalle“: Wir möchten, dass sich doch bitte alle lieb haben und Ruhe herrscht. Diese Ruhe ist aber trügerisch. Irgendwann bricht der Konflikt aus und dann meist heftig.
Wie kommen wir da heraus?
Durch dieses Anpassen drücken wir unser ICH weg. Wir funktionieren nur, nehmen uns selbst immer weniger wahr. Das erschöpft uns und führt zu großer Unzufriedenheit und Groll. Und irgendwann zu Ärger und Härte. Dann greifen wir durch, „hauen mal ordentlich auf den Tisch“, was natürlich kontraproduktiv ist.
Niemand kann auf Dauer gegen seine Bedürfnisse agieren, auch im Beruflichen nicht. Die Hauptursache für Konflikte, wiederkehrende Fehler, schwelende Unzufriedenheit liegt genau hier. Wir müssen uns also unserer eigenen Werte, Bedürfnisse, Ziele bewusst sein, sie abgleichen, Schnittmengen finden, aber auch Unterschiede identifizieren und prüfen, ob wir mit diesen Unterschieden zurechtkommen.
Auch das hört sich wahrscheinlich wieder einfacher an, als es ist.
Absolut. Im Alltag nehmen wir uns selten die Zeit, zu definieren und anderen mitzuteilen, was uns wichtig ist, was wir brauchen, um gute Arbeit machen zu können. Trotzdem hoffen wir, dass unser Team, unsere Kolleg:innen das berücksichtigen. Eine Führungskraft brachte es mal auf den Punkt: „Ich weiß nicht genau, was meine Bedürfnisse sind, möchte aber, dass die anderen sie erfüllen.“ Diese Unschärfe bringt viel Unsicherheit ins Team.
Um es noch einmal zu betonen: Es geht hier um Bedürfnisse und nicht um Erwartungen.
Warum ist diese Unterscheidung wichtig?
Erwartungen geben meist nur eine einzige Lösung vor. Wenn wir hingegen die dahinterliegenden Bedürfnisse kennen, können wir kreativ sein in der Lösungsfindung.
Ich will das mal an einem Beispiel erläutern:
Eine Zahnärztin erwartet, dass alle Mitarbeiterinnen morgens um 8 Uhr da sind. Es gibt also nur eine Lösung: um 8 Uhr anfangen. Nehmen wir nun Mitarbeiterin Julia. Sie hat ein Kind. Aktuell ist eine Erzieherin in der Kita krank und die Übergabe kann sich verzögern. Julia läuft nun also Gefahr, der Erwartung der Chefin nicht zu entsprechen. Das führt zu Konflikten – in Julia oder mit der Chefin. Versteht Julia hingegen die Bedürfnisse, die hinter der 8-Uhr-Regelung stecken, kann sie alternative Lösungen vorschlagen.
Das Bedürfnis der Zahnärztin könnte beispielsweise sein, dass ihre Patient:innen wenig Wartezeit haben, damit sie sich wohlfühlen und wiederkommen. Außerdem möchte sie selbst pünktlich in die Mittagspause, um gemeinsam mit ihren Kindern zu Mittag essen zu können. Damit das funktioniert, sollten die Termine zeitlich eingehalten werden. Das wiederum bedingt, dass in den Zimmern alles weitestgehend vorbereitet ist, was eben dann zwischen 8 und 8:30 h erledigt wird.
Wenn Julia diese Zusammenhänge klar sind, kann sie beispielsweise vorschlagen, nachmittags länger zu bleiben und schon einmal Vorbereitungsaufgaben für den nächsten Morgen zu erledigen, so dass sie am nächsten Morgen mehr Luft hat.
Wir erweitern also die Zahl möglicher Lösungen.
Ganz genau. Und das ist von allergrößter Bedeutung, wenn wir langfristig tragbare Lösungen finden wollen.
Die zweite Säule ist „Wohlwollen statt Wertung“.
In unserer täglichen Interaktion neigen wir dazu, Menschen und Situationen direkt zu bewerten. Diese Tendenz zur Wertung ist tief in uns verwurzelt und dient erst einmal unserem eigenen Schutz. Bewertungen helfen uns, uns in einer komplexen Welt zurechtzufinden und Entscheidungen zu treffen. Sie unterstützen uns dabei, potenziell gefährliche Situationen zu identifizieren und angemessen zu handeln. Dies gilt für physische Gefahren ebenso wie für soziale Bedrohungen in Form von Ablehnung oder Ausgrenzung.
Gleichzeitig ist unsere Neigung zur Wertung eine der Hauptursachen für persönlichen Ärger wie auch für zwischenmenschliche Konflikte. Kaum etwas macht uns so wütend wie Handlungen und Meinungen, die von unseren abweichen oder uns gar in Frage stellen. Nicht selten fühlen wir uns dadurch „bedroht“ und setzen einen Pingpongeffekt in Gang: Auf die vermeintliche Bedrohung reagieren wir mit Ärger und wertenden Äußerungen. Diese wirken wiederum auf die andere Person ein. Sie fühlt sich angegriffen und reagiert ihrerseits mit Ärger und Wertung. Und so weiter.
Das kommt mir bekannt vor. Wie schaffen wir es, aus dem Ärger rauszukommen?
Grundsätzlich werden wir die in uns ablaufenden prompte Reaktion nicht verhindern können. Wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht, wenn uns etwas „triggert“, erzeugt das Unbehagen und Ärger. Was wir aber sehr wohl beeinflussen können, ist unser Umgang mit dem Ärger. Dafür haben wir drei Möglichkeiten: Wir drücken den Ärger weg (dann explodiert er an anderer Stelle), wir leben ihn aus (was zu oben erwähntem Pingpong führt) – oder wir nehmen ihn wahr, akzeptieren und reflektieren ihn. Diese Variante ist zu empfehlen, denn damit entspannt sich unser Inneres, wir kommen raus aus dem Fight-or-Flight-Modus (der unser Denkvermögen beeinträchtigt) und können selbstbestimmt agieren. Ein überaus hilfreicher Schritt, um dann in einen wohlwollenden Modus zu kommen, ist die Trennung von Person und Tun.
Was meinen Sie damit?
Setzen wir das Tun eines Menschen mit seinem Wert gleich, werten wir ihn als Person ab. Wir signalisieren: „Du hast nicht nur einen Fehler gemacht, du BIST grundsätzlich falsch.“ Bei der andere Person erzeugt das ein Gefühl der Beschämung und Wertlosigkeit. Als Folge muss sie sich verteidigen oder selbst in den Angriff gehen. Ihre Reaktion triggert wiederum uns. Der Schlagabtausch beginnt und es entsteht der bereits erwähnte Pingpongeffekt.
Hilfreich ist deshalb, wenn wir uns in der Situation bewusst machen: Ein Mensch ist nicht identisch mit seinen Handlungen oder Äußerungen. Mein Gegenüber kann etwas tun oder äußern, mit dem ich nicht einverstanden bin. Dazu kann ich NEIN sagen. Trotzdem bleibt das JA zur Person bestehen. Ich bleibe mit meinem Gegenüber von Mensch zu Mensch verbunden.
Mir persönlich hilft das Bild, mich mit der anderen Person gedanklich Schulter an Schulter zu stellen und aus dieser Warte gemeinsam den Punkt anzuschauen, zu dem unterschiedliche Vorstellungen bestehen. Wir bleiben in der Verbundenheit und damit auch im Wohlwollen und können aus diesem Grundgefühl heraus deutlich entspannter über konfliktäre Aspekte sprechen.
Und da kommt dann die Neugier ins Spiel.
Genau. Der erste Schritt ist, dass wir davon ausgehen, dass die andere Person das gemacht hat, was ihrer Einschätzung, ihrem Kenntnisstand, ihrer Fähigkeit nach das Bestmögliche war. Das muss, wie ich schon erwähnte, nicht das sein, das wir für das Bestmögliche hielten.
Im nächsten Schritt lösen wir uns aus der Bewertung. Das heißt, dass wir das „anders Gemachte“ nicht (vor-)verurteilen, (ab-)werten und darüber nörgeln, sondern den Grund verstehen wollen, warum unsere „Bestmöglich“-Varianten so weit auseinanderliegen. Fehlten Informationen? War nicht klar oder nachvollziehbar, warum etwas in einer bestimmten Art ausgeführt werden soll? Oder steckte vielleicht auch ein guter Gedanke dahinter?
Damit öffnen wir das Feld für Erkenntnis und Weiterentwicklung, sowohl bei anderen als auch bei uns selbst. Es sind in unserem Unternehmen viele wertvolle Ideen und Projekte aus Fehlern entstanden. Zum Beispiel, wenn im Austausch über das unterschiedliche „Bestmöglich“ deutlich wurde, dass wichtige Informationen fehlen oder vermeintlich eindeutige Beschreibungen auf verschiedene Weise interpretiert werden können. Oder der Grundgedanke war super, nur die Ausführung (noch) nicht. Damit konnten wir die Chance nutzen zu lernen. Das hat stets dazu geführt, dass wir nach dem vermeintlichen Fehler deutlich weiter waren als vorher.